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FOCUS online Earth: Was im Ahrtal schiefläuft

27.02.2024  |  Kommentare: 0

Eins-zu-Eins wieder aufbauen – und den technischen Fortschritt ignorieren

Etwas stimmt nicht an der Ahr. Zweieinhalb Jahre nach der Flut gammeln einstige Hotel-Perlen entkernt und verschlammt vor sich hin, sind Häuser mit Spanplatten notdürftig verriegelt, gibt es teilweise keine Straßen und Radwege. Der Aufbau von Sportplätzen zieht sich endlos hin. Im Ahrtal tobt ein bürokratischer Irrsinn. Aber das ist nur ein Grund für den Stillstand, berichtet FOCUS online Earth.

Das Dilemma in Dernau im Mittleren Ahrtal ist rot-grün und blau-gelb. Mit der politischen Farbenlehre hat das ausnahmsweise jedoch nichts zu tun. Es geht um einen grünen Kunstrasenplatz mit roter Umlaufbahn, auf dem die Teams des SV Blau-Gelb Dernau endlich wieder Fußball spielen wollen. Ihr alter Platz, der im Tal idyllisch zwischen Weinbergen und Ahr lag, ist in der Flut vom 14. auf den 15. Juli 2021 untergegangen – zusammen mit drei Tennisplätzen, der Leichtathletikanlage mit der 110-Meter-Sprintbahn, dem Sportheim.

Alfred Sebastian (68), ehrenamtlicher Ortsbürgermeister von Dernau, breitet die große Karte des geplanten neuen Sportplatzes auf dem runden Tisch in seinem Container-Büro in Dernau aus. Jedes Fußballerherz schlägt beim Anblick höher. Auch die Umkleidegebäude, ein Spielplatz für Kinder und die Parkplätze sind im Vorentwurf des Lageplans vom Januar dieses Jahres bereits eingezeichnet.

Das Problem ist nur: Wann der Sportplatz kommt, weiß niemand. „Ich stehe hier gewaltig unter Druck“, sagt Sebastian, prägnanter Schnauzer, durchtrainiert, Rennradfahrer. Denn die 900 Mitglieder des Clubs drohen, so Sebastian: „Wenn Ihr nicht bald einen Sportplatz baut, gehen wir in einen anderen Verein.“

„… dann bin ich der glücklichste Mensch“

Am Sportplatz wird klar, warum es stockt und ruckelt beim Wiederaufbau im Ahrtal. Sebastian nennt es „den Fackelzug an Genehmigungen“: Zig Genehmigungsverfahren müsse die Gemeinde durchlaufen, jedes Gewerk benötige eine Einzelgenehmigung. Ausschreibungen müssen ab einer Summe von 215.000 Euro europaweit erfolgen, Generalunternehmer dürften aus Gründen der Chancengleichheit für heimische Handwerker nicht beauftragt werden. „Ein Witz“, sagt Sebastian. „Es ist schwierig, geeignete Handwerker zu finden, die ein annehmbares Angebot abgeben.“

Fünf Jahre dauert der ganze „Fackelzug“ im Normalfall. „Wenn es noch zwei Jahre dauert, haben sich die meisten einen neuen Verein gesucht“, befürchtet Sebastian. Vielleicht, sagt der Bürgermeister, klappt es ja in den nächsten zwölf Monaten: „Wenn wir im nächsten Jahr die Schaufel in der Hand haben, bin ich der glücklichste Mensch.“ Dann wird Sebastian vermutlich nicht mehr Bürgermeister sein: Bei der nächsten Kommunalwahl am 9. Juni will er nicht mehr antreten.

Der Running Gag an der Ahr

Ein paar Kilometer weiter, in der Verbandsgemeinde Altenahr, hat Bürgermeister Dominik Gieler (38) das große Ingenieursbüro Julius Berger beauftragt, um die Bürokratie zu stemmen. 30 Angestellte kümmern sich ausschließlich um landes- und europaweite Ausschreibungen, Anträge aus dem staatlichen Wiederaufbaufonds, Versicherungen, Gutachten.

So wurden immerhin zwei Grundschulen im Ort und eine Realschule wiederaufgebaut. Nach einem halbjährigen Kampf im Bürokratie-Dschungel genehmigte das Land neue Elektro- und Wasserleitungen im völlig zerstörten historischen Rathaus, das nach wie vor geschlossen ist. Die Geldgeber des Wiederaufbaufonds wollten lieber alte Elektrosysteme einbauen. Die Flutgeschädigten sollen nach der Philosophie des Aufbauhilfegesetzes, die sich an den Bestimmungen des Oderhochwassers 2002 orientiert, keinen Vorteil aus der Flutkatastrophe ziehen. Sie sollen weitgehend Eins-zu-Eins wieder aufbauen – und den technischen Fortschritt ignorieren.

Ein Konstruktionsfehler, der seit über zwei Jahren die Verwaltungen an der Ahr ausbremst. Unisono ist von den Bürgemeisterinnen und Bürgermeister zwischen Blankenheim und Sinzig zu hören, dass sie gerne „schneller“ aufbauen würden, dass das Geld bereit liegt, aber nicht abgerufen werden kann, und dass es deswegen so zähflüssig voran geht, wie sich seinerzeit der braune Schlamm der Ahr in den Häusern und Gebäuden festgefressen hatte.

Modellregion? Unbürokratische Hilfe oder zumindest bürokratiearme? Es gibt keinen Verantwortlichen an der Ahr, der über diesen „running gag“ an der Ahr nicht lacht. Dominik Gieler feuert eine veritable Breitseite gegen das Konstrukt ab, das ihn „nervt“ und die Mitarbeiter wie Bürger „zermürbt“: „Das Land und der Bund wollen nichts Modellhaftes, nichts Kreatives. Sie wollen den Wiederaufbau 1:1, sie wollen es so haben, wie es war, auch wenn das schon vor der Flut lange überholt war. Nur in Ausnahmefällen, die man sich hart erkämpfen muss, sind Abweichungen möglich.“

Kampf um ein paar Bäume in Bad Neuenahr

Beim neuen Volkssport an der Ahr „Verwaltung gegen Vernunft“ freuen sich die Basis-Praktiker in den Gemeinden über jeden Erfolg gegen den überbordenden Bürokratismus: So werden jetzt nach einem monatelangen Kampf die Bäume an der Poststraße in Bad Neuenahr-Ahrweiler vom Wiederaufbaufonds finanziert. Zunächst war die Finanzierung verweigert worden, die Begründung: Vor der Flut standen ja auch keine Bäume in der Straße. Hochwasserresilienz, Naturschutz, Entsiegelung, Lebensqualität waren keine Argumente.

Oder die Wärmepumpe für das Rathaus in Altenahr: Gieler und sein Team setzen bei der Sanierung auf Erneuerbare Energien. „Dennoch mussten wir einen Wirtschaftlichkeitsnachweis für eine Gasheizung vorlegen, die niemand anschaffen wollte“, sagt der Bürgermeister und schüttelt den Kopf. Der Grund: Jegliche Besserstellung soll ausgeschlossen werden. Schließlich geht es um Steuergeld, und „man will ja nichts verkehrt machen“, spottet Gieler.

Aber: „Man hat immer den Eindruck, es passiert nichts“, sagt Gieler. „Es passiert aber ganz viel. Überall drehen sich Zahnräder, die haben teilweise noch Sand im Getriebe, teilweise bürsten wir den Sand raus und versuchen stetig, das Ahrtal aufzubauen.“ Siehe Schulen oder Wärmepumpe. Der Sand ist allerdings mitunter auch wörtlich zu nehmen.

Sorge das Bauruinen auf Dauer bleiben

Gieler beugt sich über aktuelle Fotos aus Altenahr und Mayschoß. Sie zeigen vier Hotels im Zentrum von Altenahr, rund um den Bahnhof. Das Central, das Hotel Post und das Hotel Lang existieren nur noch im Rohbau, an den Handläufen hängt noch der Schlamm von der Flut. Die Fenster des Hotels „Zum Schwarzen Kreuz“ sind nur Höhlen, vor der gußeisern geschmiedeten Eingangstür baumelt eine Rigipsplatte, neben dem Hotel liegen Berge von Unrat.

Gieler atmet tief durch. „Das macht uns strukturell und touristisch Sorgen“, sagt er dann. „Wir haben Sorgen, dass diese Bauruinen auf Dauer Ruinen bleiben.“ Am Fall des „Schwarzen Kreuzes“ wird deutlich, dass eben doch nicht alles an der Bürokratie legt. Sondern mitunter auch an Eigentümern, an denen sich die Verwaltungen die Zähne ausbeißen.

Das Hotel aus dem Jahr 1830, dessen Geschichte auf das Jahr 1166 zurückgeht, soll stets ausgebucht gewesen sein, erzählt man im Ort, zumindest bis zur Corona-Pandemie. Als der alte Besitzer verstorben war, wurde das Haus versteigert – direkt danach kam die Flut.

Noch nicht einmal die Trümmer sind beseitigt

Der neue Eigentümer hat nun wenig Interesse daran, das zerstörte Hotel zu restaurieren. Noch nicht einmal die Trümmer sind beseitigt. Die Stadt habe angeboten, ihm das Haus wieder abzukaufen, erzählt Gieler – doch der Besitzer habe abgelehnt. Denn der Wiederaufbaufonds garantiert ihm eine Förderung, die höher ist als der Kaufpreis, den ihm die Stadt bieten kann. Der Clou: Die Förderung gilt auch, wenn der Hotelbesitzer irgendwo anders in Deutschland wieder aufbaut. „Er will aus der Katastrophe ein Geschäft schlagen“, sagt Gieler.

Die Gemeinde wiederum müsste dreifach draufzahlen: Für den Kauf, den Abriss und einen Neubau. Weil die Kommune vor der Flut nicht Eigentümerin des Hotels war, würde sie aus dem Wiederaufbaufonds keinen Cent erhalten. Der Kontakt zu dem Besitzer ist mittlerweile abgerissen. „Wir wissen noch nicht einmal, ob er noch lebt“, sagt Gieler.

Erst 3,5 Milliarden aus Sondervermögen abgeflossen

Eine Lösung habe er aktuell nicht. Sicher ist sich Gieler nur, dass der Wiederaufbau „noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird, leider“. Da ist es kein Wunder, dass insgesamt erst rund 3,5 Milliarden Euro aus dem 30 Milliarden schweren Sondervermögen für die Aufbauhilfe abgeflossen sind, wie das Bundesfinanzministerium auf Anfrage von FOCUS online Earth mitteilt. Rund 55 Prozent gingen davon an Rheinland-Pfalz, der Rest an Nordrhein-Westfalen.

Die Fortschritte sind nur langsam zu sehen. Einige Hotels haben wieder eröffnet. „Wir wollen doch alle, dass es wieder aufwärts geht. Wenn die Touristen kommen, hilft es jedem.“

Quelle: FOCUS online Earth, Frank Gerstenberg



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