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22.01.2024 | Kommentare: 0
Beitrag per Email empfehlenTim Himmes hat sein Elternhaus in Schuld an der Ahr nach der Flutkatastrophe nach und nach wieder aufgebaut. „Das ist ein Leben wie auf der Baustelle. Man wird nicht fertig“, sagt der 23-Jährige und zeigt auf die Platten, mit denen er den Weg zum Haus pflastern will. Danach ist die Scheune dran.
Und der Strom solle nun unter die Erde gelegt werden, erzählt er. Auf den Glasfaser-Anschluss wartet die Schaustellerfamilie noch. „Den haben sie uns schon vor langer Zeit versprochen, ungefähr ein Jahr nach der Flut“, sagt Himmes und lacht. Zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe mit mindestens 135 Toten gibt es immer noch viel zu tun, und viele Menschen sind erschöpft.
Die Auswirkungen der Flutkatastrophe auf die psychische Gesundheit der Menschen seien „massiv und langfristig“, berichtet die Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, Sabine Maur. Viele Bewohner des Ahrtals seien belastet „durch die lange Dauer des Wiederaufbaus, die andauernden Baustellen, die langwierigen Auseinandersetzungen mit Behörden und Versicherungen, die anhaltenden finanziellen und familiären Sorgen“.
„Schnell und unbürokratisch geht hier gar nichts. Das war mal drei, vier Wochen nach der Flut so, als kein Mensch da war“, sagt Hotelier und Gastronom Wolfgang Ewerts. „Ich fühle mich ausgelaugt wie ein alter Putzlappen. Ich war noch nie so platt“, sagt der Unternehmer, der seit der Flut sein Wohnhaus und seinen Betrieb in Insul wieder aufgebaut und immer weiter investiert hat. „Die Buchungslage ist gut.“ Viele seiner Gäste fragten inzwischen: „War hier bei Ihnen auch das Hochwasser?“ Dann zeigt er auf den Bildschirm über der Rezeption, auf dem Fotos in Dauerschleife dokumentieren, wie sehr die Wassermassen am 14./15. Juli 2021 sein Gasthaus mit dem Biergarten an der Ahr verwüstet haben.
Die Brücke in Insul fehle noch, sagt Ewerts. „Sehr viel ist aber schon wieder da, viele Ruinen sind weg und vieles ist schöner als vorher.“ Auf dem zentralen Platz an der Ahr in Schuld dagegen hat sich wenig getan. Haufen aus verschiedenen Steinen und riesige Kabeltrommeln aus Holz kündigen aber an, dass es wohl bald voran geht. Hier und da werden in dem Ort neue Häuser gebaut oder restauriert. Dazwischen stehen noch immer völlig verschlammte Gebäude, die nach der Flutkatastrophe zwar entkernt, danach aber nicht mehr angefasst wurden.
Posttraumatische Belastungsstörungen, wie in der Anfangsphase, seien seltener geworden, dafür nähmen depressive Erkrankungen und Suchterkrankungen zu, sagt Psychotherapeutin Maur. Unter den Hilfesuchenden, von denen viele viel zu lange auf einen Therapieplatz warten müssten, seien inzwischen auch viele Menschen, „die anfangs vielleicht dachten, sie kommen alleine klar oder auch unsicher waren hinsichtlich einer Therapie“.
Gerd Gasper ist schon seit Spätherbst 2022 zurück in seinem komplett sanierten Haus in Altenburg. Gerade wird der Hof gemacht, in einigen Wochen soll dann alles fertig sein. Die Menschen kämen auch langsam in den Ortsteil von Altenahr zurück, allerdings fehlten noch die Jungen, berichtet der 82-Jährige. „Und jeder ist mit sich beschäftigt.“ Noch immer werden in dem Ort auch Häuser abgerissen. Dazwischen stehen Tiny-Häuser als Notquartiere – und Baukräne.
Gerd Gasper klagt nicht. Er hat seit der Katastrophe immer angepackt. „Zwischendurch hatte ich schon den Mut verloren.“ Jetzt sei er aber wieder zuversichtlich und pflege seine Frau, die inzwischen im Rollstuhl sitzt, wohl eine Folge der Rettungsaktion mit einer Hubschrauber-Winde am Nachmittag nach der tödlichen Flut.
Mit einem bunten Fastnachtsschal war es Gasper gelungen, durch das Speicherfenster einen Piloten auf sich und seine Frau aufmerksam zu machen. Auf dem Dachboden hatte das Ehepaar die schlimmen Stunden in großer Not verbracht. „Das Wasser ist drei Stufen vor dem Speicher stehen geblieben.“
Der Dauerregen an der Ahr und die Hochwasser-Bilder aus dem Norden und Osten Deutschlands Anfang Januar haben Gasper und Hotelier Ewerts, die schon Jahrzehnte in dem idyllischen Tal leben, keine Angst gemacht. „Die Ahr hat sich im Zaum gehalten“, sagt Gasper. Das Hochwasser im Norden sei für die Betroffenen natürlich auch schlimm, aber ganz anders, sagt Ewers. „Es kommt langsam und geht langsam.“ An der Ahr sei es ganz plötzlich gekommen – und das mit enormer Macht.
Tim Himmes erzählt, seine Familie habe bei dem Dauerregen Anfang des Jahres vorsichtshalber schon mal das Nötigste zusammengepackt und die Anhänger an die Autos gehängt. „Damit wir schnell weg können.“ Die schlammigen und stinkenden Wassermassen hatten im Sommer 2021 nicht nur Haus und Hof der Familie überschwemmt, sondern auch Autos und Fahrgeschäfte mit sich gerissen. „Wenn das noch mal passiert, sind wir alle weg.“
Quelle: dpa